Freitag, 14. September 2018

Meine Seele hat es eilig...


Meine Seele hat es eilig...

Ich habe meine Jahre gezählt und festgestellt,
dass ich weniger Zeit habe, zu leben, als ich bisher gelebt habe.

Ich fühle mich wie dieses Kind, das eine Schachtel
Bonbons gewonnen hat.
Die ersten ißt es mit Vergnügen, aber als es merkt,
dass nur noch wenige übrig waren, begann es, 
sie wirklich zu genießen.

Ich habe keine Zeit für endlose Konferenzen, bei denen 
die Statuten, Regeln, Verfahren und internen Vorschriften 
besprochen werden, in dem Wissen, dass nichts erreicht wird.

Ich habe keine Zeit mehr, absurde Menschen zu ertragen, 
die ungeachtet ihres Alters nicht gewachsen sind.
Ich habe keine Zeit mehr, mit Mittelmäßigkeiten zu kämpfen.
Ich will nicht in Besprechungen sein, 
in denen aufgeblasene Egos aufmarschieren.

Ich vertrage keine Manipulierer und Opportunisten.
Mich stören die Neider, die versuchen, Fähigere in Verruf zu bringen,
um sich deren Positionen,Talente und Erfolge zu bemächtigen.

Meine Zeit ist zu kurz um Überschriften zu diskutieren.
Ich will das Wesentliche, denn meine Seele ist in Eile.
Ohne viele Süssigkeiten in der Packung.
Ich möchte mit Menschen leben, die sehr menschlich sind.

Menschen, die über ihre Fehler lachen können,
die sich nichts auf ihre Erfolge einbilden.
Die  sich nicht vorzeitig berufen fühlen und die nicht
vor ihrer Verantwortung fliehen.

Die, die menschliche Würde verteidigen und die nur an der Seite 
der Wahrheit und Rechtschaffenheit gehen möchten.

Das ist es, was das Leben lebenswert macht.
Ich möchte mich mit Menschen umgeben,die es verstehen,
die Herzen anderer zu berühren.
Menschen, die durch die harten Schläge des Lebens lernten,
durch sanfte Berührungen der Seele zu wachsen.

Ja, ich habe es eilig, ich habe es eilig mit der Intensität zu leben, 
die nur die Reife geben kann.
Ich versuche keine der Süßigkeiten, die mir noch bleiben,
zu verschwenden. 
Ich bin mir sicher, dass sie köstlicher sein werden, als die,
die ich bereits  gegessen habe.

Mein Ziel ist es das Ende zufrieden zu erreichen,in Frieden mit mir, 
meinen  Lieben und meinem Gewissen.
Wir haben zwei Leben und das zweite beginnt,wenn du erkennst,
dass du nur eins hast.


Gedicht von Mario de Andrade
(San Paolo 1893-1945) Dichter, Schriftsteller,
Essayist und  Musikwissenschaftler.
Einer der Gründer der brasilianischen Moderne.


Montag, 3. September 2018

Herbst




Herbst

Ich pflücke mir am Weg das letzte Tausendschön. 
Es kam ein Engel mir mein Totenkleid zu nähen. 
Denn ich muß andere Welten weiter tragen.

Das ewige Leben dem, der viel von Liebe weiß zu sagen. 
Ein Mensch der Liebe kann nur auferstehen. 
Haß schachtelt ein! Wie hoch die Fackel auch mag schlagen.

Ich will dir viel viel Liebe sagen.
Wenn auch schon kühle Winde wehen. 
In Wirbeln sich um Bäume drehen.
Um Herzen, die in ihren Wiegen lagen.

Mir ist auf Erden weh geschehen.
Der Mond gibt Antwort dir auf deine Fragen. 
Er sah verhängt mich auch an Tagen.
Die zaghaft ich beging auf Zehen.


Else Lasker - Schüler
(1869 - 1945)

Solange du nach dem Glück jagst...




Solange du nach dem Glücke jagst 
Bist du nicht reif zum Glücklichsein 
Und wäre alles Liebste dein

Solange du um verlorenes klagst
Und Ziele hast und rastlos bist
Weißt du noch nicht was Friede ist

Erst wenn du jedem Wunsche entsagst
Nicht Ziel mehr nach Begehren kennst
Das Glück nicht mehr mit Namen nennst

Dann reicht dir des Geschehens Flut
Nicht mehr ans Herz und deine Seele ruht

Hermann Hesse



Pferd am Kirchendach


Erzählung von Baron Münchhausen

Ich trat meine Reise nach Russland von Haus ab mitten im Winter an, weil ich ganz richtig schloss, dass Frost und Schnee die Wege durch die nördlichen Gegenden von Deutschland, Polen, Kur- und Livland, welche nach der Beschreibung aller Reisenden fast noch elender sind als die Wege zu den Tempeln der Tugend, endlich, ohne besondere Kosten hochpreislicher, wohl fürsorgender Landesregierungen aus bessern müssten. Ich reiste zu Pferde, welches, wenn es sonst nur gut um Gaul und Reiter steht, die bequemste Art zu reisen ist. Denn man riskiert alsdann weder, mit irgendeinem höflichen deutschen Postmeister eine Affaire d'honneur zu bekommen, noch von seinem durstigen Postillion vor jede Schenke geschleppt zu werden. Ich war nur leicht bekleidet, welches ich ziemlich übel empfand, je weiter ich nach Nordosten hin kam. Des Reitens müde stieg ich ab und band mein Pferd an eine Art von spitzem Baumstaken, der über dem Schnee hervorragte. Zur Sicherheit nahm ich meine Pistolen unter den Arm, legte mich nicht weit davon in den Schnee nieder und tat so ein gesundes Schläfchen, dass mir die Augen nicht eher wieder aufgingen, als bis es heller, lichter Tag war. Wie gross war aber mein Erstaunen, als ich fand, dass ich mitten in einem Dorf auf dem Friedhof lag! Mein Pferd war anfänglich nirgends zu sehen; jedoch hörte ich's bald darauf irgendwo über mir wiehern. Als ich nun emporsah, so wurde ich gewahr, dass es an den Wetterhahn des Kirchturms gebunden war und von da herunterhing. Nun wusste ich sogleich, wie ich dran war. Das Dorf war nämlich die Nacht über ganz zugeschneit gewesen; das Wetter hatte sich auf einmal umgesetzt; ich war im Schlaf nach und nach, so wie der Schnee zusammengeschmolzen war, ganz sanft herabgesunken; und was ich in der Dunkelheit für ein Bäumchen, das über den Schnee herausragte, gehalten und daran mein Pferd gebunden hatte, das war das Kreuz oder der Wetterhahn des Kirchturms gewesen. Ohne mich lange zu bedenken, nahm ich eine von meinen Pistolen, schoss nach dem Halfter, kam glücklich auf die Art wieder an mein Pferd und verfolgte meine Reise.



Baron Münchhausen war ein ganz besonderer Mensch. 
Er liebte es nämlich Geschichten zu erzählen und 
hielt es dabei nicht immer so ganz mit der Wahrheit.