Dienstag, 30. Dezember 2014

Am Ende des Jahres



Hannchen am Ende des Jahres


Unaufhaltsam stürzen unsre Tage 
In das Meer der schnell verflossnen Zeit, 
Täglich nähern wir uns mehr der Bahre, 
Treten näher an die Ewigkeit.

Unsre Jahre eilen, und wir wallen 
Unaufhaltsam durch dies Leben hin, 
Über steile Klippen, wie durch Pfade, 
Wo die Veilchen uns entgegen blühn.

Jeder Tag ist uns ein Schritt zum Grabe; 
Ist ein Mahnen an die Flucht der Zeit, 
Dir, o Jüngling, in der Lebensblüthe, 
Und dem Mann, der seiner Kraft sich freut.

Wie dem Greis, der lebenssatt und müde 
Sehnsuchtsvoll nach seinem Grabe blickt, 
Welches einst, nach Mühe und Beschwerden, 
Ihn in angenehmer Ruh' erquickt.

Trotze nie, noch unerfahrne Jugend! 
Auf die muntern Kräfte deiner Zeit: 
Manche Rose blüht im schönsten Lenze - 
Bald! so liegt die holde Pracht zerstreut.

Tausende, die noch am ersten Morgen 
Dieses Jahrs, getäuscht vom eitlem Wahn, 
Weit entfernt vom Ziel sich dachten, waren 
Schnell am Ende ihrer Lebensbahn.

Wie unschätzbar theuer sind die Stunden 
Der uns hier verlieh'nen Lebenszeit! 
Bald sind sie auf immer hin - wir stehen 
An den Pforten jener Ewigkeit.

Guter Gott! mit freudigem Gemüthe 
Dank' ich dir für das verflossne Jahr; 
Du allein nur bists, der mir mein Leben 
Fristete, mein treuer Führer war.

Wenn ich oft, von banger Furcht bestürmet, 
Der Gefahr mich nahte, halfst du mir. 
Die Gefahr verschwand, mit froher Seele 
Dankt' ich dann, du guter Vater! dir.

Nun, ich will dir fernerhin vertrauen! 
Lehre mich die schnelle Flucht der Zeit 
Stets bedenken; diese kurzen Tage 
Weislich nützen für die Ewigkeit.


Juliane  Schubert 1776-1864