Sonntag, 3. Dezember 2017

Dezemberlied



Dezemberlied

Harter Winter, streng und rauch, 
Winter, sei willkommen! 
Nimmst du viel, so gibst du auch, 
Das heißt nichts genommen!
Zwar am Äußern übst du Raub, 
Zier scheint dir geringe, 
Eis dein Schmuck, und fallend Laub 
Deine Schmetterlinge,
Rabe deine Nachtigall, 
Schnee dein Blütenstäuben, 
Deine Blumen, traurig all 
Auf gefrornen Scheiben.

Doch der Raub der Formenwelt 
Kleidet das Gemüte, 
Wenn die äußere zerfällt, 
Treibt das Innere Blüte.
Die Gedanken, die der Mai 
Locket in die Weite, 
Flattern heimwärts kältescheu 
Zu der Feuerseite.
Sammlung, jene Götterbraut, 
Mutter alles Großen, 
Steigt herab auf deinen Laut, 
Segenübergossen.

Und der Busen fühlt ihr Wehn, 
Hebt sich ihr entgegen, 
Lässt in Keim und Knospen sehn, 
Was sonst wüst gelegen.
Wer denn heißt dich Würger nur? 
Du flichst Lebenskränze, 
Und die Winter der Natur 
Sind der Geister Lenze!

(Franz Grillparzer, 1791-1872)