Sonntag, 1. November 2020

An den Mond


Füllest wieder Busch und Tal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz;

Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
Wie des Freundes Auge mild
Über mein Geschick.

Jeden Nachklang fühlt mein Herz
Froh- und trüber Zeit,
Wandle zwischen Freud' und Schmerz
In der Einsamkeit.

Fließe, fließe, lieber Fluß!
Nimmer werd' ich froh;
So verrauschte Scherz und Kuß
Und die Treue so.

Ich besaß es doch einmal,
was so köstlich ist!
Daß man doch zu seiner Qual
Nimmer es vergißt!

Rausche, Fluß, das Tal entlang,
Ohne Rast und Ruh,
Rausche, flüstre meinem Sang
Melodien zu!

Wenn du in der Winternacht
Wütend überschwillst
Oder um die Frühlingspracht
Junger Knospen quillst.

Selig, wer sich vor der Welt
Ohne Haß verschließt,
Einen Freund am Busen hält
Und mit dem genießt,

Was, von Menschen nicht gewußt
Oder nicht bedacht,
Durch das Labyrinth der Brust
Wandelt in der Nacht.





Kartoffellied



1884 Vincent Van Gogh
Laboureur et planteuse de pommes de terre


Kartoffellied

Pasteten hin, Pasteten her,

was kümmern uns Pasteten?

Die Kumme hier ist auch nicht leer

und schmeckt so gut als bonne chere

von Fröschen und von Kröten.
Und viel Pastet und Leckerbrot

verdirbt nur Blut und Magen.

Die Köche kochen lauter Not,

sie kochen uns viel eher tot;

Ihr Herren, laßt Euch sagen!
Schön rötlich die Kartoffeln sind

und weiß wie Alabaster!

Sie däun sich lieblich und geschwind

und sind für Mann und Frau und Kind

ein rechtes Magenpflaster.


Matthias Claudius



Donnerstag, 29. Oktober 2020

Wenn ein Volk sich selbst aufgibt






Niemals darf ein Mensch ein Volk wähnen
das Ende sei gekommen

Güterverlust lässt sich ersetzen
Über anderen Verlust tröstet die Zeit

Nur ein Übel ist unheilbar
Wenn ein Volk sich selbst aufgibt


Johann Wolfgang von Goethe





Dienstag, 14. April 2020

Antoine de Saint-Exupéry




Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte

Gott bewahre mich vor dem naiven Glauben es müsste im Leben
alles glatt gehen

Schenke mir die nüchterne Erkenntnis dass Schwierigkeiten Niederlagen
Misserfolge Rückschläge eine selbstverständliche Zugabe zum Leben sind
durch die wir wachsen und reifen

Erinnere mich daran dass das Herz oft gegen den Verstand streikt 

Schicke mir im rechten Augenblick jemand der den Mut hat
mir die Wahrheit in Liebe zu sagen
Mache aus mir einen Menschen der einem Schiff mit Tiefgang gleicht 
um auch die zu erreichen die unten sind

Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte
Durch deinen Segen Vater Sohn und heiligen Geist




nach Antoine de Saint-Exupéry




Dienstag, 28. Januar 2020

Ohne Maske geh' ich heut



Ohne Maske geh' ich heut'
zum lustigen Karneval.

Bunte Kostüme und Fröhlichkeit
begegnen mir überall.

Ganz ohne Verkleidung trage ich stolz
heute mein wahres Gesicht.

Wenn ich mich zeige, wie ich bin,
erkennt man mich sicher nicht.



Annegret Kronenberg


An eine weibliche Maske




An eine weibliche Maske

Sprich wer bist du schlanke Gestalt in der flüchtigen Maske.

Zähl ich den Grazien dich, zähl ich den Musen dich bei.

Aber die Göttinnen waren aus Erz und kaltem Gesteine.
Und in der marmornen Brust klopfte kein fühlendes Herz.


Eine Maske erzählt uns mehr als ein Gesicht.

Oscar Wilde





Montag, 27. Januar 2020

Lebe, liebe dein Leben


Ich bin fast hundert Jahre alt...
Auf das Ende warten und über den Anfang nachdenken. 

Es gibt Dinge, die ich dir sagen muss...
Aber würdest du zuhören, wenn ich dir sagen würde, wie schnell die Zeit vergeht?
Ich weiß, du  wirst  nicht in der Lage sein, dies zu tun. Ich kann es dir jedoch sagen, dass du eines Tages aufwachst und feststellst, dass dein Leben überstürzt ist von einer Geschwindigkeit, auf einmal unmöglich und grausam. Die intensivsten Momente scheinen erst gestern stattgefunden zu haben, und nichts wird den Schmerz und die Freude ausgelöscht haben, die unmögliche Intensität der Liebe, jedoch die Hunde springen immer noch umher. Die düstere Schwärze von Leidenschaften, die nicht erwidert, unausgesprochen oder ungelöst sind.

Du bist alt und merkst, dass es keine Antworten gibt, nur Geschichten.

Meg Rosoff / Garrison Keillor

Ich habe diesen original Text im Internet gefunden, und hier übersetzt.
@ Ursula Magdalena


Der Text hat mich sehr bewegt. Natürlich denken und glauben wir nicht, dass die Zeit und die Jahre so schnell vergehen. Eines Tages aber wachen wir dann auf und müssen feststellen, dass wir die Uhr nicht zurück drehen können. Jeder Tag ist endlich und vorbei, und bringt uns dem letzten Tag näher.

Stellen Sie daher sicher, dass es Ihr Tag ist, und nicht ein Tag den wir für alles Geld der Welt kaufen können. Der größte Reichtum ist innere Zufriedenheit. 


Wir können uns zu unserer inneren Zufriedenheit auf den Weg machen!

@ Ursula Magdalena


Sonntag, 26. Januar 2020

Die Jahre



Die Jahre sind allerliebste Leut 
Sie brachten gestern, sie bringen heut, 
Und so verbringen wir Jüngern eben 
Das allerliebste Schlaraffenleben.

Und dann fällt's den Jahren auf einmal ein, 
Nicht mehr wie sonst bequem zu sein, 
Wollen nicht mehr schenken, 
wollen nicht mehr borgen. 
Sie nehmen heute, sie nehmen morgen.


Johann Wolfgang von Goethe, 1749-1832, 


Das Jahrhundert ist vorgerückt 
jeder Einzelne aber fängt doch von vorne an.


Mittwoch, 15. Januar 2020

Karneval


Karneval


Auch uns, in Ehren sei's gesagt

Hat einst der Karneval behagt


Besonders und zu allermeist

In einer Stadt die München heißt


Wie reizend fand man dazumal

Ein menschenwarmes Festlokal


Wie fleißig wurde über Nacht


Das Glas gefüllt und leer gemacht

Und gingen wir im Schnee nach Haus

War grad die frühe Messe aus

Dann können gleich die frömmsten Frau'n


Sich negativ an uns erbau'n

Die Zeit verging das Alter kam


Wir wurden sittsam wurden zahm

Nun sehn wir zwar noch ziemlich gern

Die Sach' uns an doch nur von fern.



Wilhelm Busch (1832-1908)



Mittwoch, 8. Januar 2020

Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte




Ich bitte nicht um Wunder und Visionen, Herr, sondern um Kraft für den Alltag. Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte. Mach mich findig und erfinderisch, um im täglichen Vielerlei und Allerlei rechtzeitig meine Erkenntnisse und Erfahrungen zu notieren, von denen ich betroffen bin.
Mach mich griffsicher in der richtigen Zeiteinteilung, schenke mir das Fingerspitzengefühl, um herauszufinden, was erstrangig und was zweitrangig ist. Ich bitte um Kraft für Zucht und Maß, daß ich nicht durch das Leben rutsche, sondern den Tagesablauf vernünftig einteile, auf Lichtblicke und Höhepunkte achte, und wenigstens hin und wieder Zeit finde für einen kulturellen Genuß.
Laß mich erkennen, daß Träume alleine nicht weiterhelfen, weder über die Vergangenheit, noch über die Zukunft. Hilf mir, das nächste so gut wie möglich zu tun und die jetzige Stunde als die wichtigste zu erkennen.
Bewahre mich vor dem naiven Glauben, es müßte im Leben alles glatt gehen. Schenke mir die nüchterne Erkenntnis, daß Schwierigkeiten, Niederlagen, Mißerfolge, Rückschläge eine selbstverständliche Zugabe zum Leben sind, durch die wir wachsen und reifen.
Erinnere mich daran, daß das Herz oft gegen den Verstand streikt. Schick mir im rechten Augenblick jemand, der den Mut hat, mir die Wahrheit in Liebe zu sagen. Ich möchte dich und die anderen immer aussprechen lassen. Die Wahrheit sagt man nicht sich selbst, sie wird einem gesagt. Ich weiß, daß sich viele Probleme dadurch lösen lassen, daß man nichts tut.
Gib, daß ich warten kann. Du weißt, wie sehr wir der Freundschaft bedürfen. Gib, daß ich diesem schönsten, schwierigsten, riskantesten und zartesten Geschenk des Lebens gewachsen bin.
Verleih mir die nötige Phantasie im rechten Augenblick ein Päckchen Güte, mit oder ohne Worte, an der richtigen Stelle abzugeben. Mach aus mir einen Menschen, der einem Schiff mit Tiefgang gleicht, um auch die zu erreichen, die unten sind. Bewahre mich vor der Angst, ich könnte das Leben versäumen. Gib mir nicht, was ich mir wünsche, sondern was ich brauche.
Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte!“


Antoine de Saint-Exupéry 1900 – 1944





Dienstag, 7. Januar 2020

Die Wohnung der Maus






Die Wohnung der Maus

Ich frag die Maus
Wo ist dein Haus
Die Maus darauf erwidert mir
Sag´s nicht der Katz
so sag ich´s dir

Treppauf Treppab
erst rechts dann links
dann wieder rechts
und dann gradaus
da ist mein Haus
du wirst es schon erblicken

Die Tür ist klein
und trittst du ein
vergiß nicht dich zu bücken

Johannes Trojan






Achte auf deine Gedanken



Achte auf Deine Gedanken
denn sie werden zu Gefühlen

Achte auf Deine Gefühle
denn sie werden zu Worten

Achte auf Deine Worte
denn sie werden zu Handlungen

Achte auf Deine Handlungen
denn sie werden zu Gewohnheiten

Achte auf Deine Gewohnheiten
denn sie werden Dein Charakter

Achte auf Deinen Charakter
denn er wird Dein Schicksal


Unbekannt


Samstag, 4. Januar 2020

Die Rose


Als sich die Rose erhob die Bürde ihres Blühens
und Duftens zu tragen mit Lust
hat sie dass es der letzte sein würde 
von ihren Tagen noch nicht gewusst

Nur dass sie glühnder noch werden müsste
reiner und seliger hingegeben dem Licht
spürte sie  ach dass zum Tode sich rüste
so wildes Leben bedachte sie nicht 

Als dann am Abend mit Mühe der Stängel
ihre hin geatmete Süße noch trug hauchte sie 
fallend dem kühlen Engel welk vor die Füße

War es genug


Eugen Roth






Mittwoch, 1. Januar 2020

Dem Revolutionär Jesus zum Geburtstag




Zweitausend Jahre sind es fast,
seit du die Welt verlassen hast,
du Opferlamm des Lebens!
Du gabst den Armen ihren Gott.
Du littest durch der Reichen Spott.
Du tatest es vergebens!

Du sahst Gewalt und Polizei.
Du wolltest alle Menschen frei
und Frieden auf der Erde.
Du wusstest, wie das Elend tut
und wolltest allen Menschen gut,
damit es schöner werde!

Du warst ein Revolutionär
und machtest dir das Leben schwer
mit Schiebern und Gelehrten.
Du hast die Freiheit stets beschützt
und doch den Menschen nichts genützt.
Du kamst an die Verkehrten!

Du kämpftest tapfer gegen sie
und gegen Staat und Industrie
und die gesamte Meute.
Bis man an dir, weil nichts verfing,
Justizmord, kurzerhand, beging.
Es war genau wie heute.

Die Menschen wurden nicht gescheit.
Am wenigsten die Christenheit,
trotz allem Händefalten.
Du hattest sie vergeblich lieb.
Du starbst umsonst.
Und alles blieb beim alten.


Erich Kästner